von Fredy Künzler Langsam wird der Überwachungswahn der Beamten in Bern unheimlich. Der Tages-Anzeiger enthüllte am letzten Samstag (, dass weitere "vertrauliche" Richtlinenen zur Mobilnetz-Überwachung (GSM / UMTS) bestehen, neben deren durch die WOZ veröffentlichten Dokumente zur Echtzeit-Internet-Überwachung. (PDFs der Printausgaben von Tages-Anzeiger und dem selben Artikel im Bund). Das Echo in Presse (20min, inside-it) und Blogs (BloggingTom, Dobszay's, Journalistenshredder und andere) ist entsprechend enorm. Die Öffentlichkeit soll scheinbar gezielt im Dunkeln gelassen werden, nur so kann man sich das Vorgehen des EJPD erklären. Auch der Erklärungsversuch von EJPD Sprecher Georg Balmer ist dürftig:
Zitat«Der Inhalt war im Interesse der Strafverfolgungsbehörden nicht für die Öffentlichkeit bestimmt», denn es würden im Dokument auch prozessuale und technische Informationen erwähnt. Zudem habe die neue Richtlinie einen langen Vorlauf gehabt. Das sei nichts Spezielles. Die Anhörung der Provider stelle sozusagen den Zieleinlauf dar.
Es scheint, als wäre die "vertrauliche" Vernehmlassung eine Art Alibiübung. "Zieleinlauf" heisst eigentlich nichts anderes, als dass die Provider vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Die Rechtsbelehrung (lies: Rekursmöglichkeiten) zu den neuen Richtlinien fehlt denn auch und ist "auch nicht vorgesehen" gemäss EJPD. Dabei wäre dringend eine politische Diskussion notwendig. Das derzeit gültige BÜPF (Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs) wurde im Oktober 2000 veröffentlicht und ist seit 2002 in Kraft. Das Gesetz ist also faktisch uralt - berücksichtigt man, dass innerhalb dieser verhältnismässig kurzen Zeit die Internetnutzung von Rand- zum Massenphänomen geworden ist. Deshalb ist es politisch nicht haltbar, wenn das EJPD behauptet, "es handle sich nur um eine technische Anpassung der Richtlinien", im Gegenteil: wir brauchen ein neues Internetgesetz! Selbstverständlich ist das Internet kein rechtsfreier Raum, aber die Überwachung unbescholtener BürgerInnen und Bürger "bei Verdachtsmomenten" ist für einen freiheitlichen Staat nicht opportun. Eine Überwachung darf meines Erachtens nur bei sehr schweren Delikten vorgenommen werden, und MP3-Freeloading (lies: Verstösse gegen das Urheberrechtsgesetz) gehören definitiv nicht dazu. Die Musikindustrie respektive deren Verband IFPI reibt sich nämlich bereits die Hände ob der neuen Richtlinie, wie Digichris bloggt. Bekanntlich scheut sich die IFPI überhaupt nicht, massenweise Strafanzeigen gegen MP3-Freeloader einzureichen. Mit der staatlich inzenierten Echtzeit-Internet-Überwachung liesse sich der Betrieb eines Tauschbörsen-Programms natürlich hieb- und stichfest beweisen, doch bekanntlich ist der Download von MP3-Files und Filmen weiterhin legal, auch wenn das IFPI nicht wahrhaben möchte. Doch der Widerstand gegen das Ansinnen wächst: in Facebook gibt es bereits zwei Gruppen, die sich kurz nach der brisanten WOZ-Veröffentlichung formiert haben: Echtzeitbespitzelung NEIN, NO - NEVER AGAIN!" und Gegen Überwachung durch den Staat im Internet. Nachtrag (16:28 Uhr): das "Fichenaffäre 2.0" Logo stammt von planetknauer.net - dankeschön!